Jüdisches Leben in Neuss, in Deutschland, Europa und der Welt

Aus der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Neuss e.V.

Jüdisches Leben in Neuss, in Deutschland, Europa und der Welt

Das letzte Jahr 2020 war vor allem ein Jahr der Erinnerungen: Der 2. Weltkrieg war endlich im Mai 1945 zu Ende; je nach politischer Einstellung war das eine Katastrophe oder die Befreiung durch die Armeen der Sowjetunion im Osten und der Alliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) im Westen. Trotz des erschütternden, unfassbaren Ergebnisses der Nazizeit, in der zu viele Deutsche geschwiegen oder gar aktiv mitgemacht hatten, eröffnete die Weltlage die Chance für einen Neuanfang, ohne die Grausamkeiten zu vergessen, die Deutsche den Juden und anderen Gruppen, Widerstandskämpfern wie Pfarrer Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer und den Völkern v.a. in Europa angetan haben. Leider haben viele zu schnell eigenes Versagen verheimlicht oder abgestritten, die Widerstandskämpfer als Vaterlandsverräter beschimpft und sich nur auf ihre wirtschaftlichen Erfolge konzentriert.

Die evangelische Kirche versuchte andere Wege. Zunächst wurden im August 1945  die einzelnen Landeskirchen in der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, organisiert. Der Rat der EKD unter der Leitung von Landesbischof Theophil Wurm gab im Oktober 1945 vor Vertretern der Ökumene im Stuttgarter Schuldbekenntnis  eine Mitschuld der Kirche an den Geschehnissen im Dritten Reich zu, und fünf Jahre später bekannte sie ausdrücklich eine Mitschuld an der Shoa.  Das führte in den Folgejahren zur vollen Akzeptanz der evangelischen Kirche im Ökumenischen Rat. Zur unvoreingenommenen Aufklärung der Nazizeit, gerade auch das Verhältnis zu evangelischen Widerstandskämpfern, brauchte es noch Zeit.  Auschwitz sollte nie wieder geschehen! Das war das Ziel, das  auch neue Gruppierungen der Kirche, wie z.B. die Aktion Sühnezeichen und deutlich später die Gedenkstätte „Deutscher Widerstand“ aktiv unterstützten.

Einige Juden haben in Deutschland überlebt, andere kamen aus den östlichen Ländern zu uns, und weitere kehrten zurück nach Deutschland. Im September 1950 wurde  der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet und in einigen Städten auch die ersten Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Beide wurden zu wichtigen Stimmen in der deutschen Zivilgesellschaft.

Hierzu beispielhaft ein kleiner Bericht über die „Stille Heldin“ Helene Jacobs (1906-1993). Sie haderte zunächst mit der evangelischen Kirche, schloss sich dann der Bekennenden Kirche an und rettete viele Jüdinnen und Juden vor Deportation und Tod, in aller Stille, trotz möglicher Gefahren für ihr eigenes Leben.

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges setzte sie sich aktiv  für die Verständigung zwischen Christen und Juden ein; 1983 erhielt sie die Buber-Rosenzweig-Medaille des DKR für christlich-jüdische  Zusammenarbeit und wird im selben Jahr für die Rettung von Juden von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.

Eine von aller Welt anerkannte Geste des Schuldeingeständnisses für das deutsche Volk war der Kniefall von Bundeskanzler Brandt am 7.12. 1972 im Warschauer Ghetto bei seinem Besuch in Polen. Historiker und Journalisten sind sich fast alle einig, dass dieser Kniefall das Verhältnis zu den geschundenen Völkern des Nazi-Regimes deutlich verbesserte.

Auch in Neuss gab es für die jüdische Bevölkerung im sog. 3. Reich Diskriminierungen, Verfolgungen, Enteignungen, Deportationen und die Vernichtung der Synagoge. Letzteres geschah am 9./10. November 1938  v.a. durch die SS, aber leider auch vor den Augen und dem Schweigen bzw. der Zustimmung von Neussern. Im November 1942 wurde Neuss für „judenrein“ erklärt.

Diese erste Synagoge in Neuss wurde von dem preußischen Baumeister Friedrich Weise geplant. Er ließ sie im orientalischen Stil erbauen (Vorderfront) und im hinteren Bereich durch die großen Fenster wie ein Kirchenschiff aussehen. Sein Grabstein befindet sich neben der Christuskirche.

Die Synagoge wurde Ende März 1867 feierlich eingeweiht und bildete fortan den Höhepunkt des religiösen Lebens für die jüdische Gemeinde. Auch architektonisch wertete sie das Gebiet zwischen Promenaden- und Michaelstraße auf.

Diese Synagoge war ein gutes Zeichen für jüdisches Leben in Neuss. Nach mehr als 70 Jahren wurde sie aus Hass vernichtet; und nun dauert es mehr als 80 Jahre,  bis  im Frühsommer 2021  die neue Synagoge und das erweiterte Alexander-Bederov-Zentrum in Neus feierlich eingeweiht werden.

Die Neusser jüdische Gemeinde hat dann wieder eine eigene Synagoge und ein Gemeindezentrum mit schönen, teils flexiblen Räumen für kleine Treffen bis hin zu größeren Feiern. Darauf freuen wir uns auch als GCJZ sehr. Wir danken an dieser Stelle allen die sich schon vor vielen Jahren für einen Neubau eingesetzt haben. In den letzten Jahren  ganz aktiv waren Bürgermeister Reiner Breuer, Pfarrer Franz Dohmes und Bert Römgens (beide in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende  der GCJZ in Neuss).

Der Vorstand unserer Gesellschaft plant ein buntes Kulturprogramm rund um das neue Zentrum und in der Neusser Innenstadt: Lesungen, Musikveranstaltungen, Kennenlern-Treffen, Führungen, Diskussionen.

Nähere Informationen und Termine werden in einem kleinen Programmheft verbreitet.

Wir hoffen sehr, dass Corona es ermöglicht.

 

Das Jahr 2021 ist ein ganz wichtiges Jubiläumsjahr für das Zusammenleben der jüdischen und christlichen Gemeinden in unserem Land:

 

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

 

Auch hierzu wird es in unserer Region viele Veranstaltungen geben, die Eröffnung durch den Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, der die Schirmherrschaft übernommen hat, ist im Februar 2021 vorgesehen. Es wird wohl ein digitales Ereignis sein wegen der Pandemie. Weitere Feierlichkeiten erstrecken sich über das ganze Jahr in Deutschland.

Beide Festlichkeiten lassen sich in Neuss gut verbinden, obwohl ein Nachweis für jüdisches Leben in unserer Stadt erst im 11. bzw. 12.  Jahrhundert vorliegt. Es gab eine Notiz von 1096, dass 200 Juden in Neuss getötet wurden.

Die 1700 Jahre beziehen sich auf unsere Nachbarstadt Köln. Allerdings war der Anlass nicht so recht erfreulich: In den Jahren ab  321  schickte der römische Kaiser Konstantin Dekrete an den Kölner Magistrat, die den Juden die Todesstrafe ankündigten, wenn sie sich dagegen wehrten, wenn Glaubensbrüder zum Christentum konvertierten. Auch Christen durften nicht zum Judentum übertreten.  Trotzdem gab es kaum Probleme im Zusammenleben der Bürger. Mit zunehmender Macht der römischen Kirche und des Papstes änderte sich das aber stetig zum Nachteil der jüdischen Bevölkerung.

 

 

Angelika Weißenborn-Hinz

Schriftführerin im Vorstand

der GCJZ in Neuss